Tomaten - Geschmack wie früher?

geschwungene Linie

Es gibt unzählige Tomatensorten, die sich alle in Form, Farbe, Größe und Geschmack unterscheiden. Es gibt rote, braune, orange, gelbe, sogar grüne und blau-violette Sorten. Manche sind gestreift oder geflammt. Wer Tomaten selbst aus Samen zieht, kann sich die ganze Vielfalt in den Garten oder auf den Balkon holen. Aber welche Sorte soll man da nur wählen. Oft wird behauptet, dass "früher" die Tomaten mehr Geschmack hatten als heute. Alte Sorten sollen mehr Aroma haben, als moderne Züchtungen. Das lässt sich jedoch weder in bei Geschmackstests noch durch Analysemethoden bestätigen. Moderne Züchtungen schneiden oft besser ab als alte. Aber nicht alle sind geschmacklich vorne. Was macht eigentlich den Geschmack aus und was sind "alte Sorten"? Welche Tomatensorten sind für den Anbau im Hausgarten am besten geeignet?

Alte Sorten

Fleischtomate Noir de Crimee

Die Fleischtomate ´Noir de Crimée´ ist eine alte, russische Sorte.

Obwohl die Züchtung ständig neue Tomatensorten hervorbringt, haben sich viele alte Sorten bis heute gehalten. Sie spielen im Erwerbsanbau keine Rolle, weil sie sich wegen einer zu dünnen Haut und weichem Fleisch schlecht lagern und transportieren lassen oder in Form, Farbe und Größe zu unregelmäßig für den Handel sind. Im Hobbyanbau ist das alles nicht von Bedeutung und alte Sorten sind zurzeit wieder gefragt.
Aber was sind eigentlich "alte" Sorten? Alte Sorten sind alle Tomatensorten, die älter sind als 30 Jahre. Das entspricht einer menschlichen Generation bzw. zwei Züchtungszyklen von 15 Jahren für eine neue Sorte. Heute sind also alle Sorten die vor 1985 auf den Markt kamen "alte Sorten". Tatsächlich sind viele Tomatenzüchtungen aber viel älter.
Es gab früher sehr viele Lokalrassen mit kleinem Verbreitungsgebiet. Sie waren nicht überregional bekannt und veränderten sich im Laufe der Zeit. Namen wurden beliebig vergeben. Es ist darum schwer die Ursprünge alter Sorten nachzuvollziehen. Erst seit Tomaten kommerziell vermehrt und überregional gehandelt werden, gibt es Aufzeichnungen mit Namen und Beschreibungen von Tomaten.
Eine der ältesten heute bekannten Sorten ist die gelbe, birnenförmige Cocktailtomate ´Yellow Pearshaped´, auch ´Gelbes Birnchen´ genannt. Sie kam bereits um 1800 in den USA auf den Markt. Die kleinen Früchte sind 12 - 15 g schwer, mild süß, etwas mehlig und platzfest. Die Pflanzen können über 2,5 hoch werden. Man man sie stutzt, kann man sie aber auch im Kübel auf Balkon oder Terrasse anbauen. Sie ist extrem anfällig für Kraut- und Braunfäule.
Die ´Goldene Königin´ ist eine gelbe Rundtomate aus Deutschland, die seit 1871 angebaut wird. Sie bildet leuchtend gelbe Früchte mit mildfruchtigem Geschmack. Die Sorte ist verhältnis mäßig robust gegen Witterungseinflüsse und eignet sich für den Anbau im ungeschützten Freiland. Sie ist aber nicht widerstandsfähig gegen Pilzkrankheiten oder Schädlinge. Die Früchte sind unregelmäßig groß und neigen dazu Nasen zu bilden.
In Frankreich wird seit Ende des 19. Jahrhunderts die Fleischtomate ´Marmande´ angebaut. Die würzigen, roten Früchte sind flachrund und gerippt. Sie sind in der Ernte (sehr früh bis mittelspät) und in der Größe sehr variabel (200 - 500 g). Die Sorte ´Saint Pierre´ gibt es bereits seit etwa 1880. Die hochwachsenden Pflanzen mit dem kräftigen Laub tragen 150 bis 300 g schwere, rote Früchte mit festem Fleisch. Die Haut ist dünn und lässt sich gut abziehen. Diese Sorte findet man bis heute in den Sortimenten der meisten Saatgutanbieter. Auch die Hellfruchtsorte ´Moneymaker´ ist schon über 100 Jahre alt. Sie wurde zum ersten Mal 1913 in England angeboten. Die meisten "alten" Sorten, die wir heute kennen sind aber sehr viel jünger. Die Buschtomate ´Hoffmann´s Rentita´ gibt es erst seit 1954. Ein Jahr später kam ´Hellfrucht´ auf den Markt. Diese Sorten und ihre Nachfahren bilden kein Chlorophyll in den Früchten und bekommen darum keinen Grünkragen. Ein Meilenstein in der Tomaten-Züchtung. Bis heute gelten die Hellfruchtsorten bei Vielen als die besten Tomatensorten überhaupt. Zu denen komme ich später aber noch einmal. Zu den alten zählt auch ´Matina´, eine Sorte für den Erwerbsanbau von 1978.
Auch ´Green Zebra´, eine Züchtung aus dem Jahr 1985, gilt schon als alte Sorte. Auch F1-Hybriden sind nicht neu. Die erste wurde bereits 1946 vorgestellt und hieß ´Single Cross´. 1959 kam mit ´Harzfeuer´ die erste deutsche F1-Hybride auf den Markt. Sie ist eine frühe, Sorte mit aromatischen, saftigen Früchten. Leider ist sie anfällig für sämtliche Pilzkrankheiten die eine Tomate bekommen kann.
Manche alte Sorten werden als platzfest oder widerstandsfähig beworben. Im Vergleich zu noch älteren Typen sind sie das auch. Im Vergleich mit den neuen, oft mehrfachresistenten Züchtungen können sie weder in Bezug auf Widerstandskraft noch im Ertrag punkten. Das ´Andenhorn´zum Beispiel wächst als Sämling schwach, entwickelt sich langsam, benötigt viel Wärme und Schutz vor nasser Witterung und trägt im Schnitt 4 bis 6 Früchte.
Samenfeste alte Sorten gelten als wertvoll, weil sie nicht homogen sind, sondern genetische variabel. Diese Variabiltät zeigt sich in unterschiedlich starkem Wuchs, ungleichmäßig großen Früchten, zeitlich versetzten Fruchtansatz und unheitliche Reaktion auf Kälte und Nässe. Manche Pflanzen einer älteren Sorte wachsen bei kühlem, nassen Wetter also besser als andere. Widerstandsfähig gegen Mehltau, Nematoden und Kraut- und Braunfäule sind sie aber alle nicht.
Diese Resistenzen haben Tomaten schon vor Jahrhunderten verloren. Erst durch Rückkreuzungen mit Wildarten konnten einige davon in den letzten 30 Jahren zurück gewonnen werden und sind nun wieder bei den neuen Sorten zu finden.

Neue Sorten

grüne Cherry-Tomate Limetto

Die grüne Cherry-Tomate ´Limetto´ ist seit 2013 im Handel. Die Früchte bekommen bei Reife einen leichten gelben Schimmer.

Rispentomate Tropical

´Tropical´ ist eine fruchtig süße Cherry-Rispen-Tomate.

Als neue Sorten werden die Züchtungen der letzten 30 Jahre betrachtet. Viele davon, z.B. ´Black Cherry´, schneiden bei Verkosten sehr gut ab.
Trotzdem haben neue Sorten einen schlechten Ruf. Das kommt daher, dass in den 1990er ein deutsches Magazin einen Artikel über die "holländischen Wasserbomben" in deutschen Supermärkten schrieb. Früher hätten die Tomaten besser geschmeckt, hieß es da. Und ganz unrecht hatte der Autor nicht. Sorten wie ´Hellfrucht´, ´Moneymaker´, ´Harzfeuer´, ´Matina´ und ´Hoffmann´s Rentita´ waren auf Ertrag, gutes Aussehen und gute Transportfähigkeit gezüchtet. Geschmack spielte eine Rolle. Für die Supermärkte als Großabnhmer spielte die Haltbarkeit die größte Rolle. Teilweise wurden unreife, grüne Tomaten auf den Großmärkten teurer Verkauft als reife, rote. Aber nur reife Tomaten haben Geschmack und Aroma!
Die neuen Sorten von damals sind die alten Sorten von heute. Was damals begründete Kritik war, ist heute nur noch ein veraltetes Klischee. Bereits seit über 20 Jahren werden Wildtomaten in Zuchtsorten eingekreuzt, weil sie über Resistenzen gegen Krankheiten verfügen oder Hitze und salzige Böden besser vertragen. Inzwischen weiß man, dass sie dabei auch interessante Aromastoffe mitgebracht haben, die den Geschmack intensivieren. Darum sind die neuen Sorten nicht nur widerstandsfähiger, sondern auch sehr viel geschmacksintensiver als die viel gerühmten, faden Hellfruchtsorten der 1960er, 1970er und 1980er Jahre, die zu ihrer Zeit als "Wasserbomben" bekannt waren..
Aber das Einkreuzen von Wildtomaten bringt in der ersten Generation auch unerwünschte Eigenschaften in den Genpool. Die Früchte so einer Kreuzung sind winzig, stark behaart und schmecken zum Teil nach Galle oder wie Kotze. Darum werden die Ergebnisse der ursprünglichen Kreuzungen zwischen einer Sorte und einer Wildart immer wieder mit der Sorte zurück gekreuzt und dabei das Erbe der Wildart immer weiter verdünnt. So entstehen verschiedene Zuchtlinien, von denen jede einzelne am Ende nur noch wenige Gene der Wildtomate hat. Diese Zuchtlinien sät man aus, zieht die Pflanzen groß und testet sie auf ihre Eigenschaften. Dann kann man als Eltern der nächsten Generation diejenigen auswählen, die die gewünschten Merkmale haben. Auf diese Weise wurden zum Beispiel ´Tropical´, ´Limetto´ und die kraut- und braunfäuleresistenten Sorten ´Phantasia´ und ´Philovita´, sowie ´Dolcevita´, ´Philona´ und´Picolino´ gezüchtet. Es dauert etwa 12 bis 15 Jahre, um auf diese Weise eine neue Sorte zu bekommen. Diese sind dann F1-Hybriden die besonders viele Resistenzen und guten Geschmack vereinen. Bei einer Kreuzung mit sich selbst spalten sie auf. Würde man die Sorten in Linien weiter selektieren bis sich nach weiteren 10 bis 15 Jahren samenfeste Typen herausbilden, würde sich die positiven Eigenschaften bis dahin immer weiter verdünnen. So wie es eben bei der Rückkreuzung mit den Eltern in den Zuchtlinien vorher auch schon passiert ist. Das ist ein normaler biologischer Vorgang und wurde von Mendel (1822 - 1884), der übrigens auch den Begriff "Hybride" für seine Kreuzungprodukte gebrauchte, in der "Spaltungregel" beschrieben.
Seit der Entschlüsselung der Tomaten-Gene im Jahr 2012, können die Eigenschaften von Zuchtlinien nun mit Hilfe einer Genprobe vom Samenkorn schon vor der Aussaat erkannt werden. Es werden nur noch Pflanzen für die weitere Zucht herangezogen, die die gewünschten Eigenschaften haben. Diese Kombination aus Genanalyse und traditioneller Züchtung wird als Smart-Breeding (schlaue Züchtung) bezeichnet. Mit diesem Vorgehen können neue Sorten innerhalb von etwa fünf Jahren bis zur Marktreife entwickelt werden. Die nächste Generation der Tomaten wird Widerstandskraft, Ertrag, ein ansprechendes Aussehen und guten Geschmack vereinen.

Das Geheimnis des Geschmacks

Was macht nun aber den Geschmack von Tomaten aus?
Der Geschmack einer Tomate wird durch ihr Verhältnis von Säure zu Süße, ihre Saftgehalt und ihre Konsistenz bestimmt. Allgemein werden süße Tomaten als schmackhafter empfunden. Bei der Tomate werden etwa 80 % des Zuckers, die wir am Ende in den reifen Früchten finden, aus den Blättern herantransportiert. 20 % produzieren die Früchte selbst. Dafür haben die unreifen Früchte etwas Chlorophyll. Das baut sich während der Reife nicht immer schnell genug ab und bleibt dann an der Frucht als Grünkragen sichtbar. Da der Grünkragen hart und ungenießbar ist, wurde bei den Salattomaten gezielt auf einen geringeren Grünanteil gezüchtet. Mitte der 1920er trat eine Mutante auf, die kein Chlorophyll in den Früchten hatte und ohne Grünkragen gleichmäßig ausfärbte. Sie wurde die Stammmutter aller Hellfruchtsorten. Diesen Salattomaten fehlt das Chlorophyll und damit auch Zucker und Aromastoffe. Der Trend zur perfekten roten Salattomate, der am Beginn des 20. Jahrhunderts begann, ließ die Tomaten also gut 20 % ihres Geschmacks einbüßen. Die alten Hellfruchtsorten wie ´Matina´, ´Hellfrucht´, und ´Harzfeuer´ sind also der Ursprung der so fürchterlich verschriehenen "Wasserbomben". Dieser Zusammenhang wurde aber erst 2012 entdeckt, nachdem das Genom der Tomate entschlüsselt war.
Seitdem ist es möglich Inhaltstoffe, Gene und die Ergebnisse von Verkostungen mit einander in Beziehung zu setzten. Es gibt verschiedenen Substanzen in Tomaten, die den Eindruck von Süße oder Säure verstärken oder abmildern. Andere Inhaltstoffe verlängern den Nachgeschmack im Mund. Das ist für die Züchtung sehr interessant.
Aber auch der Erntezeitpunkt und die Lagerung beeinflussen den Geschmack. Tomaten entwickeln Süße und Aroma erst kurz vor der Reife und ihr Geschmack erhält sich am besten, wenn sie bei 12 bis 16 °C gelagert werden. Außerhalb der Saison im Sommer kommen unsere Supermarkt Tomaten aus Spanien oder Marokko zu uns. Die Früchte werden sehr früh geerntet und dann kalt gelagert, damit sie besonders lange halten. Beides verhindert, dass die Tomaten gut schmecken. Die leckersten Tomaten wird man darum immer im Sommer und frisch im eigenen Garten finden. Egal ob es eine alte Sorte ist oder eine neue Züchtung: verwöhnt von der Sonne und frisch geerntet, ist jede einzelne Tomate eine Delikatesse. Aber auch bei den Supermartkunden sind die allgemein so verpöhnten holländischen Tomaten seit Jahren schon sehr viel beliebter als die Früchte aus Spanien, Italien oder Marokko. Die sind nämlich nicht "von der Sonne verwöhnt", sondern werden vor der Reife geerntet, damit sich nicht als Brei an der Ladentheka ankommen.
Im Vergleich zu einer frischen, vollreif geernteten Tomate aus dem eigenen Garten können weder alte noch neue Sorten gut abschneiden, wenn sie unreif, gekühlt und direkt aus dem Kühlschrank gegessen werden. Oder anders gesagt: Wer im Winter spanische Tomaten kauft, hat selber Schuld.

Aus dem Vollen schöpfen

Der Geschmack von Tomaten ist also nicht allein durch die Sorte bedingt sondern auch durch den Erntezeitpunkt und die Lagerung. Gezielt dem legendären Geschmack alter Sorten hinterher zu jagen lohnt sich nicht. Es lohnt sich verschiedene alte und neue Sorten auszuprobieren und neue Geschmäcksrichtugen und Aromen kennen zu lernen. Es lohnt sich auch immer mehrere Sorten anzubauen. Während bei einigen Sorten die Früchte früh reifen, tragen andere bis zum Herbst. Manche Tomate verträgt Kälte weniger gut, kann aber mit Trockenheit besser umgehen als eine andere. So tragen die verschiedenen Tomatensorten mal mehr und mal weniger. Der Anbau einer bunten Mischung sichert Euch einen ansehnlichen Ertrag.
Wer bereit ist seine Pflanzen wirklich zu pflegen, regelmäßig schon kleine Geiztriebe zu entfernen, täglich zu wässern, die Pflanzen vor zuviel Nässe an den Blättern zu schützen, gezielt und ausgewogen zu düngen, erkrankte Pflanzenteile sofort zu entfernen und dann auch noch verformte Früchte mit Korkstellen oder Nasen tolerieren kann, der kann mit alten Tomatensorten glücklich werden. Hobbygärtner aber, die am liebsten die Tomate einfach irgendwo in einem Kübel hinstellen wollen und dann reichlich, sattrote, glänzende Früchte erwarten, ohne die Pflanzen zu pflegen, die sollten gleich nach robusten F1-Hybriden umschauen. Es gibt inzwischen viele schöne Sorten, die auch in Ampeln oder im Balkonkasten gedeihen und quasi im Vorbeigehen gegossen und beerntet werden können, ohne viel Arbeit zu machen. Sie sind ertragreich und tragen viele, köstliche Früchte.

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Literatur:

Comeback der Holland-Tomate

Warum Holland-Tomaten schon lange nicht mehr geschmacklos und wässrig sind

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