Mulm ist die Mischung aus sich zersetzender organischer Substanz (Pflanzeteile, Futtereste etc.), Kot von Fischen und Wirbellosen, Bakterien, Pilzen, Huminstoffen und feinen
Mineralien. Er sammelt sich mit der Zeit im Aquarium an und durchsetzt das Substrat. Die Huminkomplexe im Mulm binden Nährstoffe und wirken
als Chelator für Schwermetalle wie Kupfer. 1 ml Mulm kann etwa 0,006 bis 0,008 mg Kupfer binden.
Das Kupfer wird an Huminstoffe im Mulm gebunden. Es passiert also auf natürlichem Wege Aquarium genau das, was ein Wasseraufbereiter macht.
Mikroorganismen zersetzen den Mulm und Mineralien (Calcium, Magnesium, Kalium etc.) werden daraus frei. Pflanzen profitieren von davon, denn
sie können diese Nährstoffe erst nutzen, wenn sie frei gesetzt werden. Mulm mit einem hohen organischen Anteil ist "lebendig".
Es sind viele Mikroorganismen mit der Zersetzung des Materials beschäftigt. Sie sind alle auf Sauerstoff angewiesen und
Bestandteil einer gesunden Flora im Aquarium. Mulm im Becken hat also durchaus einen Nutzen.
Im Normalfall stellt sich nach der Einlaufphase eine Gleichgewicht ein, bei dem die Mulmmenge im
Aquarium im Großen und Ganzen immer etwa gleich bleibt.
Tritt ein Mangel an Sauerstoff auf, kommt es dagegen zu Gärung und
Fäulnis. Anaerobe Bakterien zerlegen das organische Material und
setzen dabei Methan und Schwefelwasserstoff frei. Der Boden gammelt und
stinkt. Ursache dafür ist meist eine verdichtung des Substrats,
dass zu einer Reduktion der Wasserzirkulation führt.
Betrachtet man Mulm und Filterschlamm unter dem Mikroskop, wird man
erstaunt sein, was dort alles lebt. Es gibt winzige Schnecken,
Würmer, Nematoden, Amöben,, Pilze und Bakterien. Einige sind
autotroph und können sich mit Hilfe von anorganischen Stoffen (CO2,
SO2, NO2 etc.) versorgen. Andere sind heterotroph
und benötigen organisches Material (Cellulose, Zucker,
Eiweiße, EDTA etc.). Sie alle zerkleiner und zerlegen organische
Substanzen im Aquarium und bilden Abbauketten.
Die bekannteste Abbaukette ist die Umwandlung von Ammonium in Nitrat
durch Nitrifikation. Die bekanntesten Nitrifizierer sind Nitrosomonas europea und
Nitrobacter winogradskyi. Das erste
Bakterium nutzt Ammonium zur Energiegewinnung und scheidet Nitrit aus.
Das zweite nutzt Nitrit und scheidet Nitrat aus. Diese beiden
autotrophen Bakterien sind im Süßwasser weit verbreitet. In
einem neu eingerichteten Aquarium gibt es zunächst wenige dieser
Bakterien. Sobald aber Ammonium als Nahrungsquelle zur Verfügung
steht vermehren sich Nitrosomonas.
Sie produzieren viel Nitrit, aber die Population an Nitrobacter ist noch zu klein, um
das Nitrit vollständig zu nutzen und in Nitrat umzu wandeln. Darum
gibt es in der Einlaufphase des Aquariums einen "Nitritpeak". Erst wenn
sich ausreichend Nitrobacter neben den Nitrosomonas auf dem
Filterschwamm oder einer Mulmflocke angesiedelt haben um ihre
Ausscheidungen sofort aufzunehmen, wird Nitrit sofort zu Nitrat
umgewandelt und ist nicht mehr nachweisbar. Wenn das der Fall ist, ist
der erste Schritt in der Einlaufphase des Aquariums abgeschlossen und
es können Tiere eingesetzt werden. Einem Aquarium sollte vor dem
Einsetzen von Tieren schon regelmäßig etwas Futter
zugeführt werden. Sonst können sich die Bakterien nicht
vermehren.
Nun sind diese zwei Bakterien nicht allein. Es gibt sehr viele
verschiedene Bakterien aus den Gattungen
Nitrosomonas,
Nitrosospira,
Nitrosovibrio,
Nitrosolobus und Nitrosococcus, die Ammonium nutzen
können und einige Arten von Nitrobacter,
Nitrospira, Nitrospina und Nitrococcus, die Nitrit umwandeln.
Alle benötigen Sauerstoff und nutzen Kohlendioxid oder Karbonat
als Kohlenstoffquelle. Sie sind chemisch autotroph. Ihr Lebensoptimum
liegt bei pH-Wert 6-8 und 25-35°C. In geringem Maße
findet aber auch bei 0°C noch Nitrifikation statt.
Im Boden und im Filter gibt es aber vor allem heterotrophe Nitrifizierer. Sie nutzen Energie und Kohlenstoff aus organischem Material und gewinnen keine Energie aus der Umwandlung des Stickstoffs. Unter ihnen sind verschiedene Pilze und Bakterien. Im Aquarium leben sie an verschiedenen Stellen im Substrat, auf Pflanzen und im Filter verschiedene Arten von nitrifizierenden Bakterien. Je nach Nahrungsangebot vermehren sich mal die Einen und mal die Anderen stärker.
Nitrifizierer
sind aber nicht die einzigen Mikroorganismen im Aquarium. Es gibt auch
andere Bakterien, Pilze und Hefen, Würmer und Amöben,, die
organisches Material als Nahrung nutzen und anderen Organismen als
Nahrung dienen. Auf Futteresten vermehren sich schnell
Fäulnisbakterien wie das Schwefelwasserstoff bildende
Schwarmbakterium Proteus vulgaris.
Es bildet einen weißen Schleimfilm aus Bakterienketten. Das lockt
Bakterienfresser wie Pantoffeltierchen, Wimperntiere und Würmer
an. An anderen Stellen zerlegen Borstenwürmer Pflanzenteile in
feiner Partikel. Flagellaten und Rädertierchen suchen dazwischen
nach Nahrung. Der Mulm im Aquarium ist ein ganzes Ökosystem.
In den ersten
drei bis sechs Monaten stellt sich im Aquarium eine typisches
Gleichgewicht mit spezifischen Abbauketten und Lebensgemeinschaften in
verschiedenen Mikrohabitaten ein. Danach läuft das System stabil,
sofern keine gravierenden Änderungen vorgenommen werden. Eine
solche Veränderung wäre zum Beispiel das entfernen eines
großen Echinodorus
oder einer Cryptocoryne,
die ihre Wurzeln weit
im Substrat ausgebreitet haben. Im Substrat fehlen dann den
Mikroorganismen der von den Wurzeln abgebenen Sauerstoff und die
organischen Verbindungen, die von der Wurzel abgegeben wurden. Es kommt
zu einer Verschiebung in der Zusammensetzung der Abbauketten. Eventuell
machen sich Arten breit, die mit wenig Sauerstoff auskommen.
Fäulnis kann auftreten.
Weniger gravierend ist dagegen das regelmäßige Schneiden und
neu Stecken von Stängelpflanzen am selben Ort. An diesen Stellen
siedeln sich andere Organismen an, die damit zurecht kommen. Eine
jährliche "Grundreinigung" bei der das Aquarium ausgeräumt
wird, kommt einer Neueinrichtung gleich. Selbst wenn das Filtermaterial
unberührt bleibt, müssen sich doch im Substrat die
Lebensgemeinschaften neu zusammen finden.
In den einzelen Bereichen des Aquariums finden wir verschiedene
Organismen, die das jeweilige Nahrungsangbot nutzen.
Borstenwürmer sind Verwandte des Regenwurms. Sie fressen abgestorbenes Material, Algen oder Einzeller. Charakteristisch sind die in Segmente unterteilten Körper und die steifen Borsten, die bei der Fortbewegung helfen. Die Tiere sind verhältnismäßig groß und mit blossem Auge als feine, weiße Fäden sichtbar.
Im Aquarium tritt oft die Teichschlange Stylaria laustris auf. Die feinen weißen Würmchen sitzen oft an den Aquarienscheiben und sind darum recht auffällig. Typisch ist ein langer beweglicher Tastrüssel. Im Mulm sind zum Beispiel der ÖltrÖpfchenwurm Aeolosoma variegatus und die Wassernymphe Nais elinguis zu finden.
Die Würmer sind nicht gefährlich für Fische oder Wirbellose, lösen aber bei ihrer Entdekcung schnell Panik beim Aquarienbesitzer aus. Die Würmchen bewegen sich fort in dem sie ihre Form verändern und hin- und her winden, während sich Planarien gleitend fortbewegen.
![]() Borstenwürmer sind nur als haarfeine, weiße Fäden sichtbar. Strukturen sind mit bloßem Auge nicht erkennbar. |
Der ÖltrÖpfchenwurm frisst Mulm. Er beißt Stücke aus den Mulmflocken und verschlingt sie. |
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![]() ÖltrÖpfchenwurm |
![]() Der ÖltrÖpchenwurm Aeolosoma variegatum lebt im Aquarium meist im Substrat. Selten ist er an der Scheibe zu sehen. |
Dieser Borstenwurm und die Pantoffeltiere nehmen ihre Nahrung durch Strudeln auf. Sie fressen Bakterien und Algen. |
Borstenwürmer aus der Gattung Chaetogaster sind Räuber. Sie fressen Rädertiere und Wasserflöhe. Chaetogaster lymnaei sitzt an den Fühlern von Schlamm- und Posthornschnecken. Vermutlich saugt diese Art zumindest teilweise Körperflüssigkeiten aus der Schnecke.
Von Aquarianern werden sowohl Planarien als auch Borstenwürmer oft für Nematoden gehalten. Die Tiere bekommt man aber kaum mit dem bloßen Auge zu sehen. Sie sind transparent, leben an dunklen Stellen und die meisten sind nicht größer als 1 bis 2 mm. In Aquarienfiltern kommt oft der "Lanzenwurm" Dorylaimus stagnalis vor. Diese Tiere sind bis 5,5 mm lang und völlig harmlos. Sie saugen Algenzellen aus. Auch in Algenmatten findet man manchmal Nematoden, wenn man ein Mikroskop bemüht.
![]() Die Bestimmung von Nematoden ist für den Laien unmöglich. |
![]() Es gibt etwa 100.000 verschiedene Nematodenarten. Viele leben parasitisch an Tieren und Pflanzen. Die Unterscheidung der Arten ist schwierig. Die frei lebenden Arten im Aquarium fressen vermutlich vor allem Algen. Der Lanzenwurm (Dorylaimus stagnalis) kommt vielfach in Aquarienfiltern vor und saugt Algenzellen aus. Er ist 2,5 bis 5,5 mm lang. |
Sie leben ebenfalls im Substrat zumindest verstecken sie sich dort. In den Mulmproben, habe ich allerdings nie welche gefunden. Das liegt wohl daran, dass die bekannten Aquarienplanarien sehr groß sind und bei der Probenahme durch eine Einwegspritze einfach nicht mit eingesaugt werden können. Aber auch kleinere Planarienarten habe ich nicht gefunden. Einige Planarienbilder und ein kleines Video sind hier zu finden.
Wimperntiere leben im Süßwasser, Meer
und
auch im
Feuchtigkeitsfilm auf Moosen. Sie fressen Bakterien, Flagellaten, Algen
und Rädertiere. Es gibt sehr kleine und sehr große Arten.
Sie können wurmförmig sein oder rundlich oder oval, wie das
bekannte Pantoffeltier. Sie werden in verschiedene Klassen unterteilt.
Zu den Holotricha gehören zum Beispiel die Pantoffeltiere. Aber
auch die gestielten und festsitzenden Glockentiere (Peritricha)
gehören dazu. Wimperntiere werden gerne als Fischfutter für
sehr kleine Jungfische in Aufgüssen aus Heu oder Blättern
angzogen. Sie vermehren sich zum Beispiel gut auf
Seemandelbaumblättern.
Pantoffeltiere findet
man in Mulm wenig, da sie sich
vor allem im freien
Wasser aufhalten.
Das auf dem linken Bild stamm aus einer
Mulmprobe, dass auf dem rechten aus einem Ansatz mit
Bananenblättern.
![]() Kolonie aus
Glockentieren an der Aquarienscheibe.
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Rädertiere (Rotatoria) gehören zu den Schlauchwürmern. Sie sind sehr unterschiedlich gestaltet. Einige haben einen Panzer und sind recht steif, andere bewegen sich wie Würmer. Sie sind alle in Kopf, Körper und Fußabschnitt untergliedert und maximal 3 mm lang. Rädertiere werden als Jungfischfutter in Ansätzen mit Ei oder auf speziellen Granulaten angezogen. Sie sind für Fische und andere Tiere im Aquarium ungefährlich.
![]() Rädertiere gehören zu den Schlauchwürmern (Aschelminthes). Sie haben nahe der MundÖffnung Wimpern mit denen sie Nahrung sammeln. Sie können sehr unterschiedlich gebaut sein. Rotaria haben einen elastischen Körper und kriechen wie Egel herum, während sie nach Futter suchen. Panzerrädertiere wie Lecane sp. (links) heften sich mit dem Fuß an und schwingen bei der Nahrungssuche um diesen Fixpunkt herum. |
![]() |
Flagellaten sind
begeißelte Mikroorganismen. Dazu gehören Augen- und
Dinoflagellaten aber auch gegeißelte Formen von Grünalgen.
Harmlose,
bakterienfressende Flagellaten in Mulm.
Es wird oft propagiert, dass der Mulm regelmäßig möglichst vollständig entfernt werden sollte. Drei Annahmen zu dem Thema möchte ich hier kurz diskutieren.
Mikroorganismen im Mulm binden die
Nährstoffe aus den
organischen Materialien zu etwa 40 % in ihre eigene Masse. Die
stehen dann den Pflanzen nicht zur Verfügung. Dadurch fehlt den
Pflanzen aber nichts. Die in der
Bodenfauna gebundene Menge an Nährstoffen nimmt nicht unbegrenzt
zu. Nach der Einlaufphase des Aquariums sterben so
viele Mikroorganismen wie neue "geboren" werden und die in ihnen
gebundenen Nährstoffe werden wieder frei. Es stellt sich ein
Gleichgewicht zwischen Futter und
"Mäulern" ein, weil jedes Glied der Nahrungskette auf seine
spezielle Nahrung angewiesen ist und die steht immer nur in begrenzten
Maße zur Verfügung. Das Endergebnis des Abbaus sind
Minerlastoffe, die von Pflanzen aufgenommen werden können. Aber
nur dann wenn der Abbauprozess vollständig abgelaufen ist.
Mulm speichert Nährstoffe also nur vorrübergehend.
Es wird angenommen, dass aus dem Mulm Makronährstoffe
(Nitrat und Phosphat) frei werden. Auch dass ist nicht ganz richtig.
Der Mulm enthält kaum noch Makronährstoffe. Sie werden aus
abgestorbenem Material sehr schnell frei gesetzt, weil Eiweiße,
DNS, Fette und andere Stickstoff- und Phosphathaltige Verbindungen sie
sich im Zellineren befinden und sofort austreten, wenn die Membranen
beim Absterben der Zellen zerfallen. Im Mulm bleiben vor allem die
Zellwände zurück, die überwiegend aus Kohlenstoff
bestehen. Sie dienen heterotrophen Mikroorganismen als
Kohlenstoffquelle. Tatsächlich befindet sich in Aquarien mit hohen
Nährstoffgehalten auch oft viel Mulm, weil beides die selbe Quelle
hat - nämlich das Fischfutter.
Zuviel Futter führt sowohl zu
hoher Nährstoffkonzentration, als auch zu viel Mulm.
Die Vielfalt der Organismen sorgt mit ihren
Ausscheidungen
dafür, dass sich keine bestimmten Organismen
übermäßig vermehren können. Krankheitserreger und
Algen haben es schwerer, weil mit hoher Wahrscheinlichkeit jemand
anderes da ist, der ihre Nische einengt oder sie als Nahrung nutzt.
Außerdem siedeln Mikroorganismen lieber im Mulm, als dass sie im
freien Wasser schwimmen. Die Keimzahl im Wasser sinkt. Die
Wimperntiere, Flagellaten und Bakterien im Mulm sind keine
Krankheitserreger, obwohl es Krankheiten
gibt, die von Arten aus diesen Organismengruppen verursacht werden.
Andererseits können sich Krankheitserreger, die im Aquarium
vorhanden sind im Mulm vor Medikamenten verstecken. Da der Mulm wie ein
Chelator wirkt, kann er Medikamnete neutralisieren. Kranke Fische
sollte man darum nicht im Hälterungsbecken, sondern in einem
Quarantänebecken behandeln. Ist eine Behandlung im
Gesellschaftsbecken nötig, dann macht es Sinn vorher
möglichst viel Mulm aus dem Bodengrund und dem Filter zu entfernen.
Dass Mulm an sich nicht schädlich, sondern für das Gleichgewicht im Aquarium wichtig ist, ist lange bekannt. Darum wird auch empfohlen Mulm aus alten Aquarien zum Animpfen in neue Becken zu übertragen. Im Normalfall ist der Bodengrund mit Pflanzenwurzeln durchzogen, die ihn mit Sauerstoff versorgen. In der Rhizosphäre siedeln sich die Mikroorganismen an und leben in Gemeinschaft mit den Pflanzen. An wenig durchströmten Stellen oder bei einer Verdichtung des Substrat kann aber Sauerstoffmangel auftreten. Andere Mikroorganismen siedeln sich an und produzieren teilweise Stoffe, die für Pflanzen und Tiere schädlich sein können. Dann muss die organische Substanz entfernt werden. Allerdings muss das Problem für den Sauerstoffmangel auch beseitigt werden, damit die Pflanzenwurzeln nicht absterben. Der Mulm selbst ist meist nicht das Problem, sondern der Faulschlamm, zu dem er unter ungünstigen Bedingungen werden kann.
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